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Giovanni Bellini, Presentazione di Gesù al Tempio, 1460-64, Pinacoteca Querini Stampalia, Venezia

Venezianische Rotklänge

Giovanni Bellini, Presentazione di Gesù al Tempio, 1460-64, Pinacoteca Querini Stampalia, Venezia
Giovanni Bellini, Presentazione di Gesù al Tempio, 1460-64, Pinacoteca Querini Stampalia

 

Es ist nicht nur Karmesin, Purpur oder Scharlachrot. Das venezianische Rot ist mehr: Es ist unbestimmbar. Übereinanderliegende Schattierungen, transparente Lacke, warme, einhüllende Sinnlichkeit rufen die wechselnden Lichtspiele einer Kerzenflamme hervor und lassen Oberflächen bei jedem Lichtwechsel...

In den sakralen Themen der venezianischen Renaissance erinnert Rot an das Blut des Opfers, das Martyrium und die göttliche Liebe – Momente, die im Mittelpunkt der christlichen Tradition stehen. In Porträts und weltlichen Themen hingegen löst es sich von seinen symbolischen Bedeutungen und drückt Eleganz, Sinnlichkeit und Leidenschaft aus.

Rot ist eine dramatische Farbe, die den Blick auf sich zieht und sofort ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Wenn man es trägt, es ist als ob man auf einer Bühne stehen würde: Rot zu tragen will gelernt sein.

Vielleicht aus diesem Grund war es schon immer eine königliche Farbe, und in der Erinnerung des Renaissance-Venedigs lebte das Purpur der byzantinischen Kaiser noch lebendig fort.

Das Rot in seiner edelsten Form war überall zu sehen: in den antiken Mosaiken von San Marco, in mittelalterlichen Altarbildern oder in den Roben der Senatoren. Benutzt für feierliche Anlässe und von bedeutenden Persönlichkeiten, setzte es sich im 16. Jahrhundert auch in privaten oder allegorischen Porträts durch.

Für das Porträt der Laura verwendete Giorgione zarte Lasuren, die von Rot bis zum Braun des Pelzes reichen und die Figur mit einem weichen und natürlichen Licht modellieren. Der entblößte Busen, der Rand des Pelzes, der die Brust streift, schaffen eine starke Sinnlichkeit.

Giorgione, "Laura", 1506, Kunsthistorisches Museum, Wien

Wie in anderen rätselhaften Werken des Künstlers bleibt die Identität der Figur ungeklärt: vielleicht Flora, vielleicht eine Kurtisane, eine Nymphe oder, wie das Vorhandensein des Lorbeerzweiges andeuten könnte, Petrarcas geliebte Laura. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich um ein Glückwunschporträt handelt, das für eine Hochzeit in Auftrag gegeben wurde.

Das kostbare Pigment wurde hauptsächlich aus Zinnober gewonnen, einem seltenen Mineral, das Quecksilbersulfid enthält. Aufgrund seines hohen Preises wurde ab dem 13. Jahrhundert ein ähnliches Pigment, das Zinnoberrot, durch einen chemischen Prozess aus einer Mischung von Quecksilber und Schwefel hergestellt, der bereits in China und in der islamischen Welt bekannt war. Es war leichter zugänglich und von gleichmäßigerer Qualität als das natürliche Pigment. Dank ihrer Intensität und Deckkraft wurden sowohl Zinnober als auch Zinnoberrot zur Darstellung von Stoffen und Gewändern verwendet.

Darüber hinaus wurden oft organische rote, transparente Lacke darüber aufgetragen, wie der aus der Wurzel von Krapp gewonnene Lack, der orange-rote und rosafarbene Töne erzeugte. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts wurde auch Kermes verwendet, ein Rot, das aus einem Insekt aus der Familie der Marienkäfer gewonnen wird und bereits in der Vorgeschichte bekannt war.

Um 1520 erreichte Cochenille, ein weiteres Insekt derselben Familie, aus Mexiko die europäischen Märkte. Aus ihm wurde ein noch brillanterer Lack gewonnen. Aufgrund seiner Transparenz und Intensität wurde er schnell bei venezianischen und allgemein italienischen Künstlern populär, die ihn anstelle von Kermes für hellere Lasuren verwendeten.

Tizian, Flora, 1515, Gallerie degli Uffizi, Florence

In Flora erreicht Tizian eine außergewöhnliche Meisterschaft im Umgang mit Rot. Obwohl die Farbe weniger dominant ist als in anderen Porträts, ist das Werk hier durch zarte rosa-rote und orangefarbene Töne durchdrungen: von den kupferfarbenen Haaren der jungen Frau über den lebhaften Teint ihres Gesichts bis hin zu den leuchtenden Reflexen auf dem samtigen Umhang, der sie sanft einhüllt.
Der mondartige Glanz der Bluse betont die rosigen Hauttöne und die Struktur des Samtes. Ähnlich wie in Giorgiones Laura ist die junge Frau wahrscheinlich eine Allegorie; aufgrund der Rosen, die sie in der Hand hält, sehen einige in ihr Venus, die Göttin der Liebe, doch wird sie meist mit Flora identifiziert.

Im starken Kontrast zur Sinnlichkeit der Flora steht das Porträt von Isabella von Portugal, das Tizian mehr als dreißig Jahre später malte. Es handelt sich um ein posthumes Porträt der geliebten Ehefrau Karls V., die im Alter von 35 Jahren starb, möglicherweise an Entkräftung, nachdem sie ihr siebtes Kind geboren hatte.

Tizian, Isabella of Portugal, 1548, Museo Nacional del Prado, Madrid

Die Bitte Karls V. war nicht, die echten Züge seiner Frau zu bewahren, sondern vielmehr ihre Rolle als Kaiserin des gewaltigen Habsburgerreichs neben ihm zu unterstreichen; und Tizian verstand den Wunsch seines Auftraggebers. Das Gold, die Juwelen, die Frisur, die Lichtreflexe auf dem Samt der Kleidung und des Vorhangs tragen dazu bei, die Quintessenz von königlicher Würde und christlicher Tugend auszudrücken.

Das aufgeschlagene Gebetbuch und der Blick, der in die Ferne gerichtet ist, zeigen Isabella als Wesen, das nicht mehr von dieser Welt scheint. Entfernt wie eine Ikone gehört sie vielmehr zu jenem blauen Himmel über der Dolomitenlandschaft, der sich hinter ihr öffnet – eine Anspielung auf Tizians Geburtsland, das er in vielen seiner Werke zitierte.

Das Mieder ist von einem tiefen Rotton geprägt, der wahrscheinlich aus Zinnober und Lasuren aus Cochenillelack besteht, um die Tiefe und Intensität zu verstärken.

Doch Rot war nicht länger das Vorrecht von Königinnen und Kaiserinnen, Liebesgöttinnen oder Kurtisanen: Auch Adelige bevorzugten diese Farbe mit ihren vielfältigen Bedeutungen und ihrer stets beeindruckenden Wirkung.

Paris Bordone, Porträt, 1550, Galleria Palatina, Firenze

Im Frauenporträt von Paris Bordone, einem Schüler und Mitarbeiter Tizians, verleiht das Rot des Kleides der bis heute unbekannten Protagonistin Energie und eine imposante Präsenz. Im 19. Jahrhundert hielten Kritiker sie für eine Amme der Medici, doch der kostbare Stoff, die Perlenkette und ihre Haltung deuten auf einen hohen sozialen Rang hin. Die schimmernden Reflexe des Samts werden durch hellere Pinselstriche erzeugt, die das Spiel des Lichts auf dem Stoff nachahmen.


Ein wärmeres und weicheres Licht erhellt ihr Gesicht, dessen Ausdruck Entschlossenheit ahnen lässt, ebenso wie ihre Haltung, bei der die Arme frei liegen, anstatt wie üblich im Schoß verschränkt zu sein.

Mitte des Jahrhunderts bringt Veronese mit größerer Freiheit neue Farben in die venezianische Schule, die bis dahin von warmen Tönen dominiert wurde – von den mittelalterlichen Altarbildern bis zur großen Renaissance-Epoche von Bellini, Giorgione, Sebastiano del Piombo und Tizian, um nur einige zu nennen.

Paolo Veronese, Porträt, 1555, Musee de la Chartreuse, Douai, France

Im Porträt dieser Dame – wir sind inzwischen im Jahr 1565 – bleibt das Rot des Samts noch immer kräftig und dicht, mit einigen besonders leuchtenden Stellen, doch die kühlen Lasuren der Bluse erzeugen einen ätherischen Effekt und ein komplexes Farbenspiel. Auch die Haut, die noch immer die rosigen Töne des Renaissance-Schönheitsideals bewahrt, zeigt kühle Schatten, die durch das Mischen heller Töne mit einem Hauch von Blau und Grau erreicht wurden.

Die Techniken der Farbexperimente, der Schichtungen und Überlagerungen von Zinnober, Zinnoberrot und roten Lacken erreichten ihren Höhepunkt im 17. Jahrhundert in den Niederlanden durch Künstler wie Van Dyck und Rembrandt, die auch das neue Rot der Cochenille verwendeten, das noch brillantere Effekte erzeugte.

Venedig hatte einen Trend vorweggenommen, der Jahrhunderte überdauern sollte, und damit seine zentrale Rolle in der Kunstgeschichte bestätigt. Das Rot mit seinen unendlichen Nuancen und seiner symbolischen Kraft bleibt eines der eindrucksvollsten Zeichen dieser außergewöhnlichen künstlerischen Epoche, das bis heute royale Würde und sinnliche Schönheit in einer Weise vermittelt, die Kunstliebhaber weiterhin fasziniert.

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